Voilà
Nando Eggenberger wollte ein Künstler sein – und scheiterte. Jetzt blüht der ehemalige Stürmer des HC Davos in einer neuen Rolle bei den Rapperswil-Jona Lakers auf. Und ist endlich wieder glücklich.
Wer einen Menschen besser kennenlernen will, kommt nicht um dessen Vergangenheit herum. Also, Rückblende. Spätherbst 2019. Die Abende, an denen Nando Eggenberger stundenlang wach im Bett liegt, mehren sich. Es gibt Nächte, in denen er kaum schlafen kann. Albträume hat. Und wenn er morgens aufstand, begannen die Gedanken wieder von Neuem zu kreisen. Ein paar Monate zuvor war Eggenberger aus der kanadischen Juniorenliga OHL zum HC Davos zurückgekehrt. Zu seinem Stammklub, bei dem er als 16-Jähriger einst in der National League debütierte. Wo er zum Captain des U20-Nationalteams reifte. Sich ins Blickfeld der NHL-Scouts spielte. Es fühlte sich ein bisschen an wie die Heimkehr eines verlorenen Sohnes. Christian Wohlwend, Trainer und Spieler kennen und schätzen sich aus gemeinsamen Zeiten beim Nationalteam, machte Eggenberger sogleich zum Assistenzcaptain. Alles war angerichtet für den grossen Durchbruch.
Es sollte anders kommen. «Der Fall des Supertalents», titelte der Blick ein halbes Jahr später. Kaum Eiszeit. Null Tore. Null Assists. Zwischendurch sitzt Eggenberger nur noch auf der Tribüne. Muss beim Partnerteam Ticino Rockets aushelfen. Die schlaflosen Nächte. Die Albträume. Das Gedankenkreisen. «Am schlimmsten war die Zeit für den Kopf», sagt Eggenberger. «Ich habe von morgens bis abends an nichts anderes gedacht.» Er geht zu einer Mentaltrainerin. Bricht die Aktion nach wenigen Sitzungen wieder ab, weil er merkt, sich nicht wirklich darauf einlassen zu können. Und zieht dann die Reissleine. «Ich war am Boden», so Eggenberger, «zerbrochen an meinen eigenen Erwartungen.» Hohe Ansprüche an sich selbst. Die hatte der Churer schon immer.
«Er ist ein anderer Spieler»
Zeitsprung. Letzter Sonntag. Die Rapperswil-Jona Lakers sind seit rund einem Jahr Eggenbergers Klub. Am Vorabend spielte er zum fünften Mal gegen den HC Davos. «Seinen» HC Davos. Der Stürmer trifft zum zwischenzeitlichen 2:3, verliert am Ende 5:7. Und wird nach der Schlusssirene als bester Spieler seines Teams ausgezeichnet.
Vier Mal hat Eggenberger in dieser Saison schon getroffen. So oft wie erst einmal zuvor in der National League. Doch damals, in der Saison 2016/17, brauchte er beinahe doppelt so viele Spiele dafür. «Er ist ein ganz anderer Spieler», sagt sein Trainer Jeff Tomlinson. Man könnte auch sagen: Er hat sich neu erfunden.
Eggenberger wollte immer ein Künstler sein. Einer, der fürs Spektakel sorgt. Für «Ohs» und «Ahs» auf den Tribünen. «Einer wie Linus Omark», sagt Eggenberger schmunzelnd.
Das Talent dazu hatte er schon immer. So bizarr es klingt: Vielleicht war ihm genau dieses Talent in den vergangenen Monaten im Weg gestanden. Vieles ging ihm bis zu seiner Rückkehr in die Schweiz leicht. Zu leicht. Wie einem Schüler, der kaum lernen muss – und dann, wenn das Niveau steigt, plötzlich den Anschluss verpasst. Oft musste Eggenberger in der Vergangenheit nicht so viel machen wie die Teamkollegen. Das reichte, um in der National League Fuss zu fassen. Um einen Fixplatz in den Nachwuchsauswahlen zu erhalten. Aber nicht, um sich auf Dauer für Spiele in der höchsten Liga zu empfehlen.
«Ich habe realisiert, dass Eishockey auch Arbeit ist», sagt Eggenberger, «dass das Talent alleine nicht ausreicht.» Gegen den HCD macht er am Samstag das, was er lange zu wenig machte. Er kämpft um jeden Meter Eis. Geht keinem Zweikampf aus dem Weg. Ist sich nicht zu schade, auch die Drecksarbeit zu machen. «Und dann fallen eben auch die Tore rein.» Powerforward heissen diese Spielertypen in der Eishockeysprache. «Davon gibt es wenige mit Schweizer Pass», sagt Tomlinson. Und: «Wenn er einfach spielt, seinen Speed und seine Leidenschaft reinbringt, ist er schwer zu verteidigen.» Wie am Wochenende, als sich Eggenberger vor dem HCD-Goalie Robert Mayer vehement Platz verschaffte und die Scheibe danach entschlossen über die Linie drückte. Wer danach den Jubel sah, merkte: Da muss einiges raus. Die Freude. Die Erleichterung. Aber auch eine Portion Frust. «Tore zu schiessen tut immer gut», sagt Eggenberger. «Nach der vergangenen Saison aber erst recht.»
«Herausgefunden, wer ich bin»
Es ist erstaunlich, wie selbstreflektiert Eggenberger über seine Situation nachdenkt. Wie offen er darüber spricht. «Er ist reifer geworden», so Tomlinson. Eggenberger sagt: «Ich habe in den vergangenen Monaten herausgefunden, wer ich wirklich bin.» Manchmal denkt er zurück an seine Zeit beim HCD. Stellt sich die Frage, weshalb es nicht geklappt hat. «Hätte ich damals schon die Denkweise von heute gehabt, hätte es auch in Davos funktioniert», ist er überzeugt. Der Druck von aussen sei nicht das Problem gewesen. Doch die eigenen Ansprüche, sie standen ihm im Weg.
Heute kehrt Eggenberger nach Davos zurück. Duell Nummer 6. Der Kontakt zu Trainer Wohlwend und seinen Teamkollegen ist geblieben. Und doch würde er nichts lieber, als nochmals zu treffen gegen den HCD. «Seinen» HCD.