Ist das «Pizza-Experiment» gescheitert?
Die Lakers haben ihr Team einer Kultfigur ohne Erfahrung anvertraut. Die Erfahrung zeigt: Jeder Tag mit Harry Rogenmoser an der Bande bringt die St. Galler dem Abstieg ein Stück näher.
Braucht ein Trainer eine Ausbildung? Oder kann man wie in der Politik, ohne jede Qualifikation ein so wichtiges Amt übernehmen? Bei den Lakers steht mit Harry Rogenmoser ein Mann an der Bande, der keinerlei Trainererfahrung hat. Er kennt zwar das Eishockey. Für den SC Rapperswil-Jona, den EHC Dübendorf und den SC Bern hat er mehr als 500 Nationalligapartien bestritten und 1992 mit dem SC Bern den Titel gewonnen.
Aber ein noch so guter Spieler ist ist nicht automatisch ein guter Trainer und es passiert hin und wieder, dass einer, nur weil er ein bekannter Spieler war, im Hockeybusiness einen Job bekommt, bei dem er in zu grossen Schuhen steht. Kürzlich hat es ein bekannter Trainer (sein Name ist mir gerade entfallen) so gesagt: «Wenn Rogenmoser bei den Lakers Erfolg haben sollte, dann müssen wir mit allen Trainerkursen aufhören.»
Nun, es wird weiterhin Trainerkurse geben. Rogenmoser hat keinen Erfolg. Die Lakers haben 19 von 23 Spielen verloren und sind auf dem besten Weg in die Playouts und in die NLB. Die Mannschaft beginnt sich ans Verlieren zu gewöhnen und wird bald verloren sein. Dass Rogenmoser beim Beginn der Nationalmannschaftspause immer noch im Amt ist und seine Position nicht einmal in Frage gestellt wird, gehört zu den grossen Hockeywundern Europas.
Das Experiment Rogenmoser
War es ein Fehler, Rogenmoser zum Trainer zu machen? Nein, es war kein Fehler. Es ist ganz einfach ein Experiment. Ein Pizza-Millionär wird zum Trainer gemacht. So lässt sich das Schicksal der Lakers in einem Satz zusammenfassen. Harry Rogenmoser hat nach seinem Rücktritt (1999) als Treuhänder und Gastronomie-Manager gearbeitet und das Unternehmen Dieci aufgebaut. Aus einer Beiz ist ein Konzern mit 30 Millionen Umsatz, 250 Vollzeit- und 500 Teilzeitstellen, 6 Beizen, 7 Gelaterias und 20 Pizzerien geworden. Im Jahr werden ziemlich genau eine Million Pizzen verkauft. Wahrlich, ein eindrücklicher Leistungsausweis.
Aber die Lakers haben in dieser Saison mit Harry Rogenmoser erst 13 Punkte geholt, am wenigsten Tore erzielt, am meisten Gegentreffer kassiert und liegen hoffnungslos auf dem letzten Tabellenplatz. Es ist offensichtlich schwieriger, ein NLA-Team zu coachen als ein Unternehmen aufzubauen. Erst recht, wenn ein Trainer die Rechnung für jahrelanges sporttechnisches Missmanagement bezahlen muss.
Die Montreal Canadiens als Vorbild
War das neue Management bei der Besetzung des Cheftrainerpostens also von allen guten Geistern verlassen? Nein. Ein ganz ähnliches Experiment haben auch die Montreal Canadiens, das berühmteste Hockeyunternehmen der Welt, hinter sich. Ein Blick zurück lohnt sich.
1993 gewinnen die Canadiens ihren 24. und bisher letzten Stanley Cup. Im Frühjahr 1995 werden die Playoffs erstmals seit 24 Jahren verpasst. Die Mannschaft ist ein ähnlich zerstrittener Haufen wie heute jene der Lakers. Aber Trainer und Manager bleiben im Amt. Doch im Herbst verlieren die Canadiens das Saisoneröffnungspiel gegen Philadelphia 1:7. Das grösste Startdebakel seit 1922. Nachdem in zwei Partien gegen Florida und Tampa gerade mal zwei Tore erzielt und zwei weitere schmachvolle Niederlagen eingefahren werden, greift Präsident Ronald Corey nach der vierten Saisonpartie durch: Er feuert General Manager Serge Savard, dessen Assistenten, den Chefscout und Cheftrainer Jacques Demers, den Stanley Cup-Triumphator von 1993. Ein «House Cleaning».
Neuer Cheftrainer der «Habs» wird TV-Reporter Mario Tremblay. Tremblay ist eine Legende. Er hatte in fünf Stanley-Cup-Siegerteams der Canadiens eine wichtige Rolle gespielt. Ein Kultstürmer. Wie Harry Rogenmoser in Rapperswil-Jona. Nach 953 Partien für die Canadiens wird Tremblay ein überaus witziger und populärer TV-Reporter. Er hat nur ein Problem: Er hat nie auch nur einen einzigen Tag auf irgendeiner Stufe als Trainer gearbeitet. Wie Harry Rogenmoser in Rapperswil-Jona. Oder noch anders gesagt: Die Trainerwahl der Canadiens ist ungefähr so überraschend wie wenn der FC Winterthur in der Krise Beni Thurnheer als Trainer an die Seitenlinie stellen würde.
Mario Tremblay wird bei seinem ersten Spiel im Forum mit einer stehenden Ovation empfangen. Und nun rockt und rollt es. Toronto wird durch ein Tor in der letzten Sekunde besiegt. Die Mannschaft legt eine Serie von sechs, dann noch einmal eine von fünf Siegen hin.
Luftschlösser währen nicht ewig
Es kann also nicht sooo schwer sein, ein Hockeyteam zu coachen. Aber diese Erfolge haben keine Basis. Sie sind Luftschlösser der Emotionen. Am Samstag den 2. Dezember 1995 ereilt die Canadiens so etwas wie eine «Ur-Katastrophe» von der sie sich bis heute nicht ganz erholt haben. Sie treten im 23. Saisonspiel gegen die Detroit Red Wings an. Es wird die schlimmste Heimpleite der Geschichte. Die Red Wings machen gegen «Hockeygott» Patrik Roy aus 26 Schüssen neun Tore. Erst Mitte des zweiten Drittels, beim Stande von 1:7 (Schlussresultat 1:11, die höchste Heimniederlage aller Zeiten), wechselt der völlig überfordert Tremblay seinen Torhüter aus. Roy ist überzeugt, dass ihn der Trainer demütigen wollte und deshalb nicht früher vom Eis geholt hat. Der hitzköpfige Roy und der temperamentvolle Tremblay hatten fast vom ersten Tag an Krach gehabt. Roys Wutausbruch, auch gegenüber dem hinter der Spielerbank sitzenden Präsidenten, und seine Ankündigung, nie mehr für die Canadiens zu spielen zu wollen, fangen die TV-Kameras live ein. Ich war damals vor Ort und erinnere mich an diesen herrlichen Herbst der Krise und der Emotionen als wäre es gestern gewesen.
Patrick «Saint Patrick» Roy, der einzige Superstar des Teams, einer der grössten Goalies aller Zeiten, Stanley-Cup-Sieger 1986 und 1993 mit den Canadiens, wird vier Tage nach diesem Eklat zusammen mit Captain Mike Kean im Tausch gegen Jocelyn Thibault, Martin Rucinsky und Andrei Kovalenko nach Denver zu der Colorado Avalanche transferiert. Eines der schlechtesten Tauschgeschäfte der NHL-Geschichte.
Roy hext Colorado 1996 und 2001 zu zwei Stanley Cups. Die Canadiens haben seit diesem 1:11 gegen Detroit in 15 Jahren insgesamt sechsmal die Playoffs verpasst und nie mehr das Stanley-Cup-Finale erreicht. Zuvor hatten sie in 79 Jahren (seit 1917) die Playoffs nur neunmal verpasst. Tremblay bleibt noch bis zum Ende der Saison 1996/97 im Amt, gewinnt 71 von 159 Partien und scheidet zweimal ruhmlos in der ersten Playoffrunde aus. Er bekommt danach nie mehr einen Job als Cheftrainer, arbeitet acht Jahre als Assistent und wird schliesslich wieder TV-Reporter.
Wir sind nun etwas vom Thema abgekommen. Aber dieses Beispiel von Mario Tremblay zeigt uns, welche Folgen es haben kann, wenn eine Mannschaft einem völlig unerfahrenen Zauberlehrling überlassen wird.
Wann kommt es bei den Lakers zum Eklat?
Wie geht es bei den Lakers weiter? Eine Besserung ist nicht in Sicht. Es ist durchaus denkbar, dass der Frust der Niederlagen eher früher als später zu einem Eklat auf oder neben dem Eis führen wird. Es ist auch möglich, dass das Management der Lakers, ähnlich wie damals die Hockeygeneräle in Montreal, den Cheftrainer durch alle Böden hindurch stützen.
Aber es gibt einen ganz, ganz grossen Unterschied: In der NHL führt auch die schlimmsten Krise nie zum Abstieg. Weil es in der NHL keinen Absteiger gibt. Aber in der NLA steigt der Verlierer der Liga-Qualifikation in die NLB ab.
Von Klaus Zaugg( man kann ihn hassen, lieben,... Doch hier hat er recht)
http://www.20min.ch/sport/dossier/timeo ... y/25713903